Interview zu «Outsider-Art»

 

Im Rahmen der «Outsider-Art»-Ausstellung «Der Wolf ist los» vom 1.-19.Juni 2021 auf dem Bahnhofplatz Bern, führten wir ein schriftliches Interview mit Claude Haltmeyer zur Ausstellung und zur Kunstszene Bern.

 

Was macht die Kunstform Art Brut so einzigartig?

Da fängt es schon an mit den umstrittenen Begrifflichkeiten: Art Brut ist ein historischer Begriff - zu deutsch: rohe Kunst -, den Jean Dubuffet als Maler und Kunstsammler geprägt hat. Seine einzigartige Sammlung wird heute noch in der Collection de l'Art Brut in Lausanne gezeigt und gepflegt. Dieser Begriff kann und darf für das heutige Kunstschaffen kaum mehr verwendet werden. 

 

Was bringt Menschen in der Psychiatrie dazu, zu malen?

Es gibt eine lange Tradition von Kunsttherapie in psychiatrischen Kliniken. Sie hat mit Kunst nicht sehr viel zu tun. Sie dient als zusätzliches Mittel um das Krankheitsbild von psychisch Kranken zu diagnostizieren und allenfalls zu therapieren. 

 

Wie sieht die Kunstszene in der Schweiz/Bern aus?

Entsprechend hetrogen und zersplittert. Es  gibt nur wenige Ateliers in der Schweiz (anders als im Ausland), die Kunstschaffende mit Psychiatie-Hintergrund und Behinderungen ernst nehmen und sie künstlerisch fördern und bekannt machen.

 

Auf was sollten sich Besucher/-innen in der aktuellen Ausstellung besonders achten?

Auf die künstlerische Qualität und die Vielfalt der ausgestellten Werke.

 

«Art Brut» oder «Outsider-Art»?

Das habe ich wohl schon in der ersten Frage beantwortet. Outsider-Art ist im angelsächsischen Sprachraum ein akzeptierter Begriff. Im deutschen Sprachraum gibt es um sehr viele Begriffe ein grosses Theater - nicht nur um dem Begriff «Outsider Art».

 

Ist die Kategorisierung in «Outsider-Art» nicht auch etwas, das zur Ausgrenzung der Kunstschaffenden mit Psychiatrie-Erfahrung beiträgt, in dem es sie sie fast etwas exotisch ausstellt? Und wir uns – fast schon etwas voyeuristisch - ihr Leiden anschauen?

Outsider Art muss nicht einfach ausgrenzend sein. Ich persönlich finde, dass Aussenseiter/-innen wichtige und interessante Menschen und vor allem Kunstschaffende sind. Ich glaube unsere heutige Gesellschaft «krankt» eher an viel zu vielen normierten und angepassten Menschen.

 

Ist Outsider-Art, die von «Insider»-Kuratoren nach gängigem Kunstverständnis kuratiert wird, noch immer «outside»?

Qualitätsansprüche und kontinuierliches Kunstschaffen sind wichtige Kriterien, dass diese Kunstrichtung ernstgenommen wird und in der heutigen Zeit überhaupt eine Chance hat. Selektion ist in dieser - wie übrigens auch in der etablierten Kunst - wichtig. Von schlechter Kunst werden wir heutzutage sowieso überschwemmt. 

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser Kunstform?

Mehr Professionalität, kontinuierliche Präsenz und eine grössere Anerkennung dieser Kunstform in Bern.

 

 

Weitere Informationen zu den Begrifflichkeiten «Art Brut» und «Outsider-Art» finden Sie hier.