Soziale Beziehungen halten gesund

Selbstoptimierung ist im Trend. Immer mehr Menschen investieren viel Geld und Zeit in Sport und gesunde Ernährung. Während der öffentliche Diskurs über vegane Ernährung nicht abbricht und sich beinahe schämt, wer nicht zweimal wöchentlich joggt oder ein Fitnessstudio besucht, geht eine der wesentlichsten Zutaten für ein gesundes, glückliches Leben beinahe vergessen: Zwischenmenschliche, unterstützende Beziehungen.

Es ist unbestritten, dass Rauchen, ungesunde Ernährung und mangelnde körperliche Bewegung das Risiko erhöhen, körperlich oder psychisch zu erkranken. Ein genauso wichtiger Schutzfaktor ist die zwischenmenschliche Beziehung. Zahlreiche wissenschaftlich fundierte Studien belegen, dass der Einfluss Sozialer Beziehungen auf das Sterberisiko vergleichbar ist mit etablierten Risikofaktoren wie Übergewicht oder Rauchen. Der Mensch als soziales Wesen ist auf den Kontakt mit anderen angewiesen, um sich wohl zu fühlen und gesund zu bleiben. Freundschaft, Gespräche, Liebe, Geborgenheit: All das funktioniert nur im Austausch mit anderen. Fühlt sich ein Mensch einsam, leidet sowohl die seelische wie auch die körperliche Gesundheit. Soziale Beziehungen zu pflegen und sich mit anderen Menschen verbunden und von ihnen unterstützt zu fühlen, ist zentral für das Wohlbefinden und die Gesundheit. Menschen, die sozial gut integriert sind, haben ein um 50 Prozent niedrigeres Sterberisiko als vereinsamte Menschen, zeigt eine anerkannte Studie aus dem Jahr 2010*. Laut Statistik** erfahren 12 Prozent der Schweizer Bevölkerung ihre soziale Unterstützung als gering. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten geben an, sich manchmal bis sehr häufig einsam zu fühlen. Dabei fühlen sich Frauen deutlich häufiger einsam als Männer. Dieser Geschlechterunterschied besteht über alle Altersgruppen hinweg. 

Auf die Qualität der Beziehungen kommt es an
Ob man allein oder mit anderen lebe, scheine kaum eine Bedeutung zu haben, schreibt Gregor Hasler in seinem empfehlenswerten Buch Resilienz: Der Wir-Faktor: «Nicht alle sozialen Beziehungen sind vorteilhaft.» Im Gegenteil, negative Beziehungen könnten die psychische Widerstandfähigkeit massgeblich schwächen. Nahe Freunde und Nachbarn beeinflussten unseren psychischen Gesundheitszustand viel mehr als ferne Freunde oder Verwandte. Mit ‚nah’ meint er die geografische Distanz: «Menschen, die weniger als 1,6 Kilometer weit weg von uns leben, sind entscheidend.» Die psychologische Forschung zeige, dass soziale Unterstützung anhaltend, möglichst direkt und ‚unsichtbar’ sein sollte. «Möglicherweise helfen wir einem Freund mehr, wenn wir ohne Absicht über eine eigene Beziehungskrise berichten, als wenn wir ihm explizite Ratschläge zu seiner Ehekrise geben.» Einem Kind sei in vielen Fällen mehr geholfen, wenn es unseren souveränen Umgang mit einem unangenehmen Nachbarn beobachte, als wenn wir ihm befehlen würden, nett mit seinen Klassenkameraden zu sein. Der Körperkontakt durch bekannte, vertraute Personen sei besonders wertvoll.

Internet-‚Freunde’ sind kein Ersatz
Das Internet kann soziale Unterstützung im Sinn von Informationsaustausch anbieten oder einen Erstkontakt ermöglichen. Im Durchschnitt leiden aber Menschen, die das Internet häufig nutzen, ihre Mails oft checken, sich viel mit Internet-Freunden austauschen und oft chatten, überdurchschnittlich oft an Stress-Symptomen. Das zeigen Studien an Jugendlichen***. Ein übermässig grosses soziales Netzwerk mit mehr als 12 Freunden ist nicht förderlich für die psychische Gesundheit. «Vermutlich hat dies mit einem sozialen Überengagement und einem Übermass an sozialem Pflichtgefühl zu tun.» schreibt Hasler. Bei Mädchen wirkten sich vor allem fragmentierte Netzwerke negativ aus, das heisst Netzwerke, in denen sich die meisten Freunde untereinander nicht kennen. «Die Pflege solcher Kontakte ist besonders anstrengend.» Die Zeit, in welchen Jugendliche direkten Kontakt mit andere haben, nahm zwischen 1997 und 2003 um 20 Prozent ab****. Laut Hasler muss man davon ausgehen, dass der direkte Kontakt inzwischen noch seltener geworden ist.
Auch David G. Myers, ein Pionier der Glücksforschung empfiehlt in seinem Standardwerk die Pflege von wenigen, aber guten Beziehungen: «Geben Sie engen zwischenmenschlichen Beziehungen den Vorrang. Glückliche Menschen haben in der Regel eher wenige soziale Kontakte. Diese sind jedoch von sehr hoher Qualität. Es lohnt sich also, seine Zeit in einzelne, enge, gute Kontakte zu investieren.» 

Gegenwärtige Gesicht-zu-Gesicht-Kommunikation
Bei echten Begegnungen in der Gegenwart ergänzen Augenkontakt, Gestik, Mimik, Stimme und Geruch die verbale Kommunikation. Das macht den Austausch persönlicher. Bei 40 bis 50 Prozent unserer Zeit beim Essen, Fernsehen, Einkaufen, Arbeiten, Spazierengehen, Essen, Kochen und Musikhören sind wir gedanklich abwesend. Denken an etwas, das nichts mit unserer gegenwärtigen Situation zu tun hat. Nur bei sozialen Tätigkeiten, vor allem im Gespräch und beim Spielen sind wir wirklich präsent. «Gegenwärtigkeit und Achtsamkeit sorgen für eine unmittelbare Verbindung zwischen uns und der Umwelt», schreibt Hasler. Das gebe uns wiederum einen erstaunlichen Schutz vor negativen Erinnerungen, Angst und Begierden. «Allein schon die Anwesenheit eines Handys auf dem Mittagstisch führt dazu, dass Familienmitglieder vorwiegend Themen besprechen, die wenig intim und wenig komplex sind, damit die Kränkung durch eine mögliche Unterbrechung des Gesprächs verkraftbar bleibt.»

Erfahrungen und Erlebnisse teilen
Am besten investiere man sein Geld in Erfahrungen, die man mit anderen Menschen teile, schreibt David G. Myers. Ausserdem seien Menschen, die sich ehrenamtlich für andere Menschen einsetzten, im Schnitt glücklicher also solche, die das nicht tun würden. «Wenn wir anderen Menschen helfen, so helfen wir also nicht nur ihnen, sondern gleichzeitig auch uns.» Auch Hasler empfiehlt, Geld nicht anzusparen, sondern in sinnvolle Projekte, Beziehungen und Erlebnisse zu investieren. «Jeder gemeinsame Sinn und jeder gemeinsame Wert, den wir finden, macht unser Leben entspannter und leichter.»

Teil der Behandlung
Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, fühlt sich häufig ausserstande zu jeder Art von sozialen Kontakten. Trotzdem sollten Menschen mit psychischen Probleme wieder lernen, zwischenmenschliche Beziehungen aufzunehmen und zu pflegen. Der Einbezug des sozialen Umfelds spielt deshalb bei sämtlichen Therapiebehandlungen im PZM eine wichtige Rolle. Die Betroffenen sollen neue positive Beziehungserfahrungen machen, damit sie ihren Mitmenschen wieder Vertrauen entgegenbringen. Dr. med. Ingo Butzke, Chefarzt der Klinik für Psychose und Abhängigkeit betont: «Wir legen grossen Wert darauf, die Angehörigen und Vertrauenspersonen in die Behandlung einzubeziehen. Diese tragen oft wesentlich zum Gesundungsprozess bei. Vorraussetzung und wichtigster Bestandteil für die Behandlung ist eine einfühlsame und vertrauensvolle  therapeutische Beziehung, auf die wir im PZM besonderes Augenmerk legen.»

Buchempfehlungen:
Gregor Hasler. Resilienz: Der Wir-Faktor, Gemeinsam Stress und Ängste überwinden, Schattauer
Myers, D.G. (2015). Psychology, Worth Publishers

*Social Relationships and Mortality Risk, Hold-Lunstad, Smith et al 2010
** Psychische Gesundheit in der Schweiz, Monitoring 2016, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan)
*** Hasler/Falci and McNeely 2009
**** Hasler/Uhls, Michikyan et al. 2014

©PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG

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